Stift Griffen und Umgebung in Peter Handkes Literatur (Auswahl)

Die Hornissen (1966)

DHo

"Je k smerti obsojen: fing ich an meinem Standort die fremde Mundart zu lesen an; useme te
krish na suoie rame: fuhr mein Bruder vor der
zweiten Station zu sprechen fort; pade prauish pod krisham: fuhr ich fort; srezha svoie shalostno mater: fuhr er fort; pomagh krish nositi: fuhr ich fort; poda petni pert: fuhr er fort; pade drugesh pod krisham? fragte ich; troshta te Jerusalemske shene? fragte er zurück; pade trekish pod krisham: war ich fortgefahren; je do nasiga sliezhen inu jemo so te grenki shauz piti dali: war er fortgefahren; po na krish perbit: fuhr ich fort; je pouishan inu umerie na krishu: fuhr er fort; je od krisha dou uset inu na roke Marie poloshen: fuhr ich fort; bo u grob poloshen, las er zu Ende." (S. 112ff.)

"Hinter den Gräbern sind unten an der Mauer die braunen, vorrosteten Schlieren des Regens zu sehen, oben auf der Mauerkrone die schütteren Schindeln des Mauerdachs, unter dem Dacht die dicken Querbalken, zwischen dem Dach der Mauer und der Mauer in einem Längsstreif der Himmel gegen den Streifen des Himmels das wellige, buckelige Schleichen der Katze.
Die Katze.
Ich sehe die Katze im Schleichen den Himmel verschlucken. Ich sehe einen Stein von der Wehrmauer fallen. Ich sehe auf den Gräbern die Hühner graben. Ich sehe eine Frau den Friedhof betreten. […]
Die Frau.
Die Frau trägt eine Kanne. In der linken trägt sie ein Glas. Sie spreizt die große Hand über das Glas. Ich sehe nicht durch die Hand auf den Boden des Glases. […] Die Frau wandelt unentwegt durch die Reihen der Gräber. Sie stellt die Kanne auf den Kies. Sie stellt das Glas auf den Sims. Sie stellt das andere Glas vom Sims auf den Kies. Sie zieht den Büschel der schwarzen Stengel aus diesem Glas. Sie dreht die Hand auf dem Rücken. Sie reibt den Rücken der Hand an der Nase. Sie schnuppert. Sie riecht das faulige Wasser, die faulen Blätter, die verfaulten Blüten der Blumen. Sie kringelt das Gesicht um die Nase. […] Die Frau geht zum Brunnen. Sie gießt mit dem grünlichen Wasser die Blumen zuhauf. Sie schwemmt das Glas aus. Sie läuft zurück. Die Hühner trippeln zur Seite. Sie hebt und senkt ihre Kanne. Sie läuft um das Grab. " (S. 105)

"Indes wir in der Kirche gewesen sind, wird er auf dieser Abzweigung schon entlang dem Bach durch die Schlucht gegangen sein." (S. 123)

(Seitenangaben beziehen sich auf die 1. Auflage. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1977.)

 

Die Stunde der wahren Empfindung (1975)

DSE"Der Steinboden unten im Hausflur war gerade mit Schläuchen bespritzt worden, und Keuschnig roch plötzlich den dunklen Kirchenraum seines Geburtsorts." (S. 130)

   

 

 

Über die Dörfer (1981)

ÜD

"GREGOR: 'Ich habe eine Zuneigung zu diesem Fleck, der nicht das Dorf ist, wie zu einer noch so verlockenden Fremde. Ich bin geradezu stolz, in der Nachbarschaft geboren zu sein, und es bedeutet mir etwas, in den hiesigen Matrikeln zu stehen. Als ich vorhin von weitem die Mauern und die Baumspitzen wiedersah, wollte ich schon angekommen sein. Ich flog. Alles flog. … Ja, dieser stumme Friedhof hier ist mein Ausgangspunkt – meine Kultur. (Er tritt an die Steinbank heran und zeigt auf die Mulde.) Schon immer hat mich besonders diese Mulde beschäftigt. Es gibt sie seit Jahrhunderten, niemand weiß, wozu sie bestimmt ist, und doch steht sie mir für den ganzen Ort. [...]'" (S. 75ff.)

"Das zweite Bild. Leerer Platz vor einer Dorffriedhofsmauer mit einem offenen Torbogen. Im Torbogen keine Grabsteinumrisse, nur leuchtendes Grün. Hinter der Mauer die Wipfel zweier schmaler dunkler Bäume, Fichten oder Zypressen. Zur einen Seite des Tors, außen an der Mauer, eine Steinbank mit einer deutlichen kleinen Mulde." (S. 62)

"Nach der Brücke gehen drei Wege auseinander. Der erste führt bachaufwärts in die Schlucht, wo früher die Mühlen standen. Jetzt sind davon nur noch die dachlosen Mauern übrig, die Mühlensteine liegen weiter unten im Tal vor den Häusern, und aus den Löchern in der Mitte wachsen Blumen, die keine Blumen mehr sind. [...] – Der zweite Weg ging früher bachabwärts durch die Felder. [...] – Der dritte Weg ist die Straße ins Dorf, und wo einmal die verschüttete Milch auseinanderrann, schillern im Teer die Ölflecken, und von allen Geräuschen ist dort das Geräusch der Fahrradklingel noch das anheimelndste." (S. 62f.)

"Am dreifachen Kreuzweg saß schon wieder ein Mann [/] er hockte unter dem Milchstand und hatte nichts an [/] Er jammerte laut: 'O ihr drei Straßen und du abgelegene Schlucht!' [/] Und wir klagten noch lauter: 'O Flüsse von Babylon! O windige Höhen! O Engelsbucht!'" (S. 45f.)

"NOVA: Obwohl da drinnen niemand ist, steht das Geviert da wie für ein Ereignis; als sollte hier etwas geschehen, bald, heute noch, in dieser Stunde. Die Löcher in den Mauern sind bereit als Schieß-Scharten wie vor Jahrhunderten, und auf dem Kriegerdenkmal glimmt die vergoldete Schrift. Aus dem finsteren Innern der Buchsbaumsträucher flattert es von Motten und anderem Nachtgetier. Im achteckigen Beinhaus liegen leere Bierflaschen. Über das Altarsticktuch krabbelt eine sterbende Hornisse. Auf vielen Steinen steht eine fremde Sprache. Und doch ist nichts unheimlich. Der Himmel über dem Viereck wirkt als das Gewölbe eines großen Zimmers. Als ich unten in der Diagonale ging, flog in der Diagonale oben ein Flugzeug. Die Glocke schwang leicht im Turm und erschien zuerst als ein Mensch auf einer Schaukel. Durch das hintere Tor geht es weiter in einen Obstgarten." (S. 72)

  

Phantasien der Wiederholung (1983)

PW"Bin ich nicht von dem romanischen Kirchenschiff meines Heimatdorfes beeinflußt? (Das wäre Psycho-Analyse)" (S. 51)

 

   

 

 

Die Wiederholung (1986)

DW"Nur bei den Litaneien, mehr noch als bei den Gesängen, horchte ich auf. In all den Anrufen des Erlösers der Welt, der sich unser erbarmen sollte, und der Heiligen, die für uns bitten sollten, lebte ich vollkommen mit. In dem dunklen Kirchenschiff, gefüllt von den unkenntlich gewordenen Silhouetten der Dörfler, die sich mit ihren Stimmen an den Altar vorne wendeten, ging von den Silben der anderen Sprache, den wechselnden des Vorbeters und den immergleichen der Gemeinde, eine Inbrunst aus, als lägen wir insgesamt auf dem Erdboden und bestürmten, Aufschrei um Aufschrei, einen verschlossenen Himmel. Diese fremdsprachigen Tonfolgen konnten mir nie lang genug sein; sie sollten immer weitergehen; und war die Litanei zu Ende, empfand ich danach kein Ausklingen, sondern ein Abbrechen." (S. 193-194) 

 

Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994)

MJN"Der Priester, breitbeinig dastehend wie zu Hause, zwinkerte mir zu, als glaubte er mir nicht, und als wüßten wir beide es anders, worauf ich mich erst recht auf mich allein gestellt fühlte. Er war gekommen, ohne sich anzukündigen, als gehöre mein Haus, drei Länder weit weg, zu seinem Sprengel, und hatte hinten im Auto, das über und über mit Schlamm bespritzt war wie sonst hier nur das der Förster, einen Abguß der romanischen Könige aus unserer Dorfkirche, von uns gemeinsam dann in die fernste Gartenecke geschleppt, wo die drei kniehohen Halbfiguren jetzt ihr dicklippiges Schmunzeln darbieten." (S. 58)

"In dieser Nacht stand er noch früher auf als gewöhnlich, auch weil er an seiner Predigt für den Sonntag zu arbeiten hatte. Der Blick vom Schreibtisch ging hinten von dem Pfarrhaus hinaus in einen Obstgarten, der dann, wie üblich in dem Jaunfeld, ohne weiters sich fortsetzte in die Wiesen und Felder." (S. 614)

 

Am Felsfenster morgens (1998) 

AF"Der gestrige Tag und die melancholische Schönheit Alpenösterreichs: von der Autobahn Richtung Kärnten wieder die Staffel der leeren Viehsteige, die Endzungen des Schnees, und zuhause, im Stiftskirchenhof, der Schnee, wie schon in der Kindheit, wieder zuhauf, mitten im Frühling, und rußig wie je, und das die Jahrhunderte durchstrahlende Schmunzeln der drei Könige in ihrer Nische, wieder, und der blühende Obstgarten des langtoten Mutterbruders aus der Ferne wieder, helles Bild der Abwesenheit und Verlassenheit, das Apfelblütengewölk dort jenseits des ehemaligen Kuhweidebachs, und die Schlucht der Drau wieder, und in dem Bachzufluß wieder, ja, wieder, die eine Bachstelze auf dem Bachstein, der Vogel schwanzwippend auf dem runden Bachstein, Teil des Bachs, Wappenvogel der Gegend, und mit ihm flog dann auch mein bedrücktes Herz auf, und tut das im Aufschreiben nun wieder; und das Autogerumpel wieder auf der Holzbohlenbrücke über den Fluß" (S. 363)

"Eine solch heiter-beschwingte, musikalische Glaubensgewißheit wie damals im zwölften Jahrhundert hat es wohl nie vorher und nie nachher gegeben, eine die Welt mit einheitlichen Formen durchwirkende und knüpfende Gewißheit: denke ich hier vor einer Nische der Heimatkirche angesichts der drei wie träumenden Steinkönige, eng beieinander, träumend, schlafend, schmunzelnd so große Schlaflider! mit ihren Gaben zwischen den Fingern, dazu allseits die Spatzenlaute und das Schneeschmelztropfen auf die Friedhofskiesel. Und draußen dann im Freien gibt jener aus dem Bach ragende runde Riesensteinblock mit dem über ihn hinwegschießenden Wasser dazu den Unter- oder Grundton an, eine Art Baß, tief, dunkel, vibrierend: dunkles Gezupf und zwischendurch Orgeln, an diesem Schopf hell über den Fels schnellenden Wassers, der Epos-Saiten für eine ganz andere Menschheit. Bleib bei mir, mit dem Spatzengezirpe, der mich fürs Weitere bestimmende, leitende Klang. Dieses unbestimmte Zupfen und Orgeln an dem überstehenden Bachstein hat am ehesten wohl etwas von sehr fernen Blechschlaginstrumenten, auch Reibinstrumenten, läßt an 'Waschbrett' denken, an 'Jamaica', an viele ausgelassen und zugleich vollkommen gesammelt musizierende, zusammenspielende Menschen in einer Lichtung des Urwalds. Leb wohl, Märchenstein, und begleite mich, im innersten Ohr" (S. 540)

 

Die morawische Nacht (2008)

DN"Doch das war der Friedhof, und das war vor allem das alte Durchgangstor zu ihm und der Kirche, mit der gemauerten Sitzbank seitlich im Tor, obenauf die verwitterte, unverwüstliche Holzplanke – ah, wie vor allem das Holz ihn leitete, Holz um Holz –, und die ihm immer noch rätselhafte Ausbuchtung in der Holzplanke, Schmalstelle, die gerade Platz ließ für einen Kinderhintern, da zu thronen und ewig so fortzudrohnen. Ja, es war der Friedhof, wo seine Vorfahren begraben lagenm, und es war das richtige Tor da hin, und wenn dieses, bewirkt durch die fernnahe Stimme des Muezzin von der Neusiedlungsmoschee, im Augenblick einen orientalischen, sozusagen von Samarkand dahergewehten Namen bekam, nämlich Bab al-Mandab, das heißt 'Tor der Totenklage', so verstärkte das noch das Gefühl, hier richtig zu sein, das Bewußtsein und die Gewißheit, daß es wirklich wahr hier war." (S. 464ff.)

"Der bewährte Blick hin zu den steinernen drei Morgenlandkönigen dort im Rundbogen über dem Eingang zur jahrtausendalten Kirche: Hallo, ihr meine Komplizen; da bin ich wieder, da sind wir wieder! – und die Antwort der Rundköpfe? Ein einhelliges dreifaches Naserümpfen (seltsam bei ihren Plattnasen), ein über ihn Hinwegsehen, ihn nicht mehr Kennenwollen, wobei sich nicht allein der Melchior in der Mitte in den Widersacher von der Alten Landstraße verwandelte, sondern auch die ihn flankierenden Kaspar und Balthasar, und das Gold-Weihrauch-Myrrhe in ihren Händen einheitlich in einen faulen Apfel. Da, in der Nische der hohen dicken Wehrmauer gegen die Türken – auch die aus dem Morgenland? – das daraus vorspringende Mesnerhaus, dessen eingedunkeltes Holz und die hellen Fensterrahmen seit jeher ein Vorbild an Wohnlichkeit: doch auf den Simsen vor den trübgewordenen, zum Teil auch geborstenen Scheiben statt der Blumentöpfe jetzt Tauben um Tauben, räudig sie alle, als Zeichen einer schon langandauernden Unbewohntheit und Verlassenheit." (S. 466ff.)

"Wie nach einer solchen Regel jedenfalls ging er durch die Mauertür auf die Felder hinter dem Friedhof und auf den von wieder einer Mauer umschlossenen Obstgarten inmitten der Felder zu. Diese schienen zunächst unverändert, bis auf die Bewässerungsrohre, die sie in der Diagonale durchzogen. Aber nein, das war eine Pipeline, und die Felder lagen brach, das spärliche Grün auf den Schollen eher eine Rostfarbe. Auch das Überklettern der Obstgartenmauer hatte zu dem Plan gehört, und entsprechend, ruckzuck, geschah es, ohne daß, wie in der Kindheit, ein kindlicher Spießgeselle einem die Räuberleiter zu machen brauchte. 'Räuberleiter': das traf im Wortsinn zu. Denn der Obstgarten war seinerzeit ein fremder, ein verbotener gewesen, und die Kinder überstiegen die Mauer rein zum 'Räubern', was ihr Wort für 'stehlen' war. Von Anfang an und bis jetzt waren ihm Diebe zuwider gewesen, nur Obst- und Obstgartendiebe nicht. Sein Lebtag lang war er ein Obstdieb gewesen und bekannte sich auch dazu. Das Obstdiebestum machte einen Teil seines Selbstbewußtseins aus, weit hinaus über das Wanderer- oder Schreibertum." (S. 477ff.)

 

Vor der Baumschattenwand nachts (2016)

VB"Hört auf, von meinen Kindern zu reden – sonst muß ich gleich weinen. Da, die unverwüstliche, die unverwelkliche Lilie der Verkündigung. Und da, der Engel mit Hut. Und da, die Satellitenschüssel auf der Friedhofsmauer. Das Staunen wird uns retten (Stara Vas)" (S. 88f.)