Eröffnungsrede der Kuratorin

Meine Damen und Herren,

als ich vor einem Jahr von der Marktgemeinde Griffen gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, die beiden Werkschauen zu Peter Handke im Stift um die fehlenden 20 Jahre zu ergänzen, hat sich bei mir nach der ersten Begehung und Betrachtung, abends dann allein im Gasthof König über einigen raschen Projektskizzen, unvermittelt eine große Freude eingestellt. Diese Freude hat mich trotz der vielen Schwierigkeiten und natürlich auch Mühen, die so ein großes Projekt bedeutet, nicht mehr verlassen. Ich möchte Ihnen heute freilich nicht von diesen Mühen erzählen. Darüber erfahren Sie von mir morgen bei der offiziellen Eröffnung alles ganz genau, auch wer unterstützt, geholfen, mitgewirkt und -gekämpft hat. Ich kann ihnen versichern, das ist eine Liste, mindestens so lang wie die Aufzählung von Parzivals Halbbruder Feirefiz in Wolframs Epos, als er vor seinen Verwandten all jene Ritter einzeln beim Namen nennt, die ihn auf seiner Suche nach dem Vater begleitet haben.

Ich möchte Ihnen vielmehr von meiner Freude erzählen, und zwar vermittelt über ihren Ort, das Stift. Sie alle wissen, das Stift ist mit Peter Handkes Leben, seiner Herkunft, aber vor allem seinem Schreiben auf das Engste verknüpft. Seit er seinen Geburts- und Kindheitsort 1961 verlassen hat, kehrt er in seinem Schreiben immer wieder dahin zurück. Genauer ist deshalb selbstverständlich Peter Handkes Werk der Ort, an dem meine Freude bei der Vorstellung, im Stift eine Ausstellung über dieses Werk einzurichten, ihren Platz und Ursprung hat.

"Unerschöpflich, immer neu quellend, sind die Heimatorte (die verborgenen Orte der Stille)", notiert Handke am 17. November 1987 während eines Besuchs in Griffen, bei dem er sich seitenweise Notizen über das Stift gemacht hat. Diese Notizen zeigen nicht nur seine große Zuneigung zu diesem Ort, sondern auch, wie er die Kindheitsorte und seine Erinnerungen daran in der literarischen und künstlerischen Tradition verwandelt und aufleben lässt. Am selben Tag notiert Handke nach einer dreiseitigen Beschreibung des Schutzmantelmadonna-Bildes in der Pfarrkirche: "den ganzen Tag könnte ich dieses Gemälde beschreiben"; und dann, sozusagen warm geworden und die paar Schritte weitergewandert zu den Königen im Kreuzgang: ­­­"Eine solch heitere beschwingende, musikalische Glaubensgewissheit wie in der Romanik hat es wohl nie vorher und nie nachher gegeben – eine die Welt mit einheitlichen, strahlenden Formen durchwebende, durchknüpfende Gewißheit (angesichts der träumenden Könige, eng beieinander, in ihrer Nische, träumend, schlafend, schmunzelnd – große Schlaflider – mit ihren Früchten zwischen den Fingern (und die Spatzenlaute jetzt, winzig, und das Tropfen in den schneeigen Innenhof)" (Notizbuch, 17.11.1987). Eben diese drei "Morgenlandkönige" sind es, mit denen der Erzähler in der "Morawischen Nacht" viele Jahre später immer noch seine Zwiesprache hält – "Hallo, ihr meine Komplizen; da bin ich wieder, da sind wir wieder! – und die Antwort der Rundköpfe? Ein einhelliges dreifaches Naserümpfen" (DN 466).

Jedem Leser von Handkes Büchern sind aber auch andere Stellen, Orte, Besonderheiten des Stifts vertraut: etwa die wundersame "Sitzkuhle [...] in der Mauerbank am Eingangstor zum Friedhof Stara Vas, Sitz des Kindkönigs in 'Über die Dörfer'" (VB 12), wie Handkes Beschriftung einer kleinen Zeichnung eben dieser Kuhle, abgebildet im Journal "Vor der Baumschattenwand nachts", lautet; oder der "Friedhof, wo [die] Vorfahren begraben" liegen, auch wenn die gerade an anderer Stelle über eine Landstraße gehen, unter einem Apfelbaum auf der Bank sitzen, sich über die Haut auf der Milch ekeln, Partisanenlieder im Auto singen oder beim Hasch-Schneiden am Schilfseeufer fluchen.

Aus den Büchern weiß man auch, dass der Friedhof durch eine "hohe[.] dicke[.] Wehrmauer gegen die Türken" (DN 466f.) geschützt ist, an welche Nova vielleicht gerade wieder die Leiter lehnt, um ihre Rede an die Menschheit zu halten – in einer anderen, sich in der Zukunft ereignenden Erzählung erschallt hier die Stimme eines Muezzins aus einer Neusiedlungsmoschee in der Nähe oder Ferne, wodurch das Durchgangstor zum Friedhof einen "sozusagen von Samarkand dahergewehten Namen bekam, nämlich Bab–al–Mandab, das heißt 'Tor der Totenklage'". (DN 465) Ebenso kennt man die slowenisch beschrifteten Kreuzwegtafeln in der Stiftskirche, gelesen von Gregor-Benedikt und seinem Bruder in einer Art Wechselrede; die Wegkreuzung zur Schlucht, an deren Eingang, wie die Alte aus "Über die Dörfer" weiß, "die Himbeeren hellrot" leuchten (ÜD 71) – manche so groß und länglich wie kleine Einbäume; oder den Blick des Priesters aus dem Pfarrhaus in den "Obstgarten, der dann", wie es in "Mein Jahr in der Niemandsbucht" heißt, "wie üblich in dem Jaunfeld, weiters sich fortsetzt in die Wiesen und Felder".

Diese Wahrzeichen des Ortes sind nur aus Peter Handkes Literatur bekannt und vertraut, auch wenn es das Stift natürlich ganz unabhängig davon gibt. Handkes Bücher haben sie sichtbar und erfahrbar gemacht und ihnen eine Bedeutung gegeben. Niemand könnte das Stift ohne sie auf diese Weise wahrnehmen. Handkes Blick bei der Arbeit an der Ausstellung sozusagen immer über der Schulter zu spüren und die Stimmungen dieser Orte in den wechselnden Jahreszeiten vor dem Hintergrund seiner Beschreibungen selbst zu erleben, war ein großes Glück.

Es versteht sich von selbst, dass das Stift Griffen der am besten geeignete Ort für eine Ausstellung zu Peter Handkes Leben und Werk ist. Es ist darin selbst ein wesentliches Exponat, das vom Besucher entdeckt werden kann und eine Begegnung mit diesem Werk ermöglicht. Die ausgestellten Manuskripte, Notizen, Zeichnungen, Briefe oder Fotos dokumentieren Handkes poetische Arbeit an der "Wiederholung" von Erfahrungen – von Erlebtem, Gelesenem, Gehörten und Gedachten, Erinnerten oder auch Geträumten – in der Kunst durch Phantasie. Kunst speist sich aus der Erfahrung, der Kindheit und Herkunft, vor allem aber aus dem Lesen und Schreiben selbst, dem Gewahrwerden und Vergegenwärtigen von Formen durch Sprache. Die Ausstellung will deshalb nicht die Werke aus dem Leben ableiten, sondern die Besucher dazu anregen, eigene Überlegungen darüber anzustellen, wie Handkes Literatur die Wirklichkeit, auch seine biografische, verwandelt und benützt.

Das Stift sollte dazu als ein Ort jener Ruhe, Stille und des Märchenhaft-Literarischen erhalten bleiben, die in Handkes Werken spürbar werden. Die Ausstellung entspricht deshalb nicht dem, was man sich heute unter einer idealen Gestaltung vielleicht vorstellen mag, mit Ton- und Bild-Installationen, wo man ständig irgendwo irgendwas tun, drücken, herausziehen oder hineinstecken kann. Obwohl eine Tätigkeit wird hier schon angeboten: Es gibt Sitzecken, wo man, wenn es nicht gerade so eisig kalt ist wie heute, einen Platz finden, die Bilder und Texte in Ruhe betrachten, auf sich wirken lassen und in Handkes Büchern nachlesen kann.

Ausstellung und Katalog sind ein Geschenk der Marktgemeinde Griffen und des Landes Kärnten an Peter Handke. Sie sind zugleich eine Art großer Lobrede für diesen Autor, Ausdruck der Bewunderung, Hochschätzung und Verbundenheit mit seinen Büchern, ihren Helden und Heldinnen, den erzählten Orten, seinen Wörtern und Bildern. Dieses Lob ist vielstimmig und zugleich – das ist keine Selbstverständlichkeit – einhellig. Es vereint Gemeinde und Land, Archive und Verlage, Freunde, Familie und Wegbegleiter, Fotografen, Wissenschaftler und Leser, ja und vielleicht auch, wenn sie reden könnten, den Misthaufen in Stara Vas und den Bildstock an der Römerstraße.

Die Aventiuren der mittelalterlichen Ritter enden zumeist mit einem großen Fest, bei dem alle zersprengten und geprüften Gestalten wieder glücklich zusammenkommen. Ich freue mich – noch einmal meine Freude aus dem Gasthaus König! – dass meine Aventiure mit Handke in Griffen hier und heute (und morgen) mit so einem Fest enden darf. Ich freue mich, dass Peter Handke anwesend ist. Ich danke allen, die weite Anreisen dazu auf sich genommen haben.

(Katharina Pektor, Stift Griffen, am 2. Februar 2018)

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